MS&Fatigue
Durch Letzteres ist Fatigue der direkten Beobachtung und objektiven Messung ähnlich wie der Schmerz kaum zugänglich. Die Betroffenen berichten über einen Mangel an physischer und/oder mentaler Energie, der sie an der Ausführung ihrer gewöhnlichen Aktivitäten hindert.
Auch wenn die Symptome nicht leicht zu objektivieren sind, zählt Fatigue mit einer Auftretenshäufigkeit zwischen 53.7 und 95 Prozent zu den dominierenden Symptomen der Multiplen Sklerose.1–3 Sie hat einen stark negativen Einfluss auf die Lebensqualität der betroffenen Patienten.4,5 Aufgrund der einschneidenden Konsequenzen für den Alltag wird das Symptom von den Betroffenen als stark beeinträchtigend erlebt. Es stellt damit oftmals körperliche Symptome wie Spastik, Gehbehinderung, Blasenstörungen etc. in ihrer Bedeutsamkeit in den Hintergrund. Die Ausprägung der Fatigue zeigt eine deutliche Tageszeitabhängigkeit. Während sich Betroffene in den Vormittagsstunden meist noch leistungsfähig fühlen, nimmt dies im Tagesverlauf merklich ab.5,6 Betroffene berichten, dass sie aufgrund ihrer Erschöpfung am Abend meist frühzeitig zu Bett gehen. Soziale Aktivitäten wie das Treffen mit Freunden am Abend, der Besuch eines Konzertes oder das Anschauen eines Filmes im Kino sind kaum mehr möglich. Die Fatigue-Symptome können sich jedoch nicht nur tageszeitabhängig verändern, sondern sind auch durch Hitze beeinflussbar. Das verstärkte Erleben der Symptome durch Hitze ist als sogenanntes Uhthoff-Phänomen bekannt und gilt als MS-spezifisch.7 Es führt oftmals dazu, dass Patienten vormals wertgeschätzte Urlaubsdestinationen in südlichen Ländern genauso meiden wie den Besuch in der Sauna.
Ein ganz wesentlicher Aspekt ist zudem, dass von Fatigue Betroffene oftmals eine Frühberentung in Erwägung ziehen müssen, weil das Arbeitspensum nicht mehr bewältigt werden kann. In einer gross angelegten europäischen Umfrage wurde deutlich, dass Fatigue von 95 Prozent der > 16’000 teilnehmenden Patienten angegeben wurde und das Symptom dabei unabhängig vom Behinderungsgrad (EDSS) auftrat.9 Zudem zeigte sich, dass Fatigue und kognitive Störungen ebenfalls unabhängig von der körperlichen Beeinträchtigung massgeblich die Arbeitsproduktivität negativ beeinflussen (siehe unten Abb. 1 Kobelt et al.). Diese Ergebnisse sind für den klinischen Alltag besonders relevant, da behandelnde Ärzte immer noch davon ausgehen, dass ein Patient mit einem EDSS von 2 keine solch ausgeprägte Fatigue haben kann, dass er seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann.
Schweregrad der Fatigue, der kognitiven Probleme und der verringerten Produktivität in Relation zu EDSS
Abb. 1 Adaptiert nach Kobelt et al. 2017
Dies macht eine gezielte Behandlung schwierig und stellt sowohl für das betreuende Fachpersonal als auch für die betroffenen Patienten selbst eine grosse Herausforderung dar. Zahlreiche Erklärungsmodelle wurden in den vergangenen Jahrzehnten aufgestellt, um den Ursachen näherzukommen. Ein Modell geht davon aus, dass proinflammatorische Zytokine, wie sie im Rahmen der MS durch die Entzündung ausgeschüttet werden, zu einer Veränderung neuronaler Aktivität in bestimmten Bereichen des Gehirns führen (Hirnstamm, Hypothalamus, Inselkortex und anteriores Cingulum).10 Die entzündeten Nervenzellen in diesen Bereichen haben zur Folge, dass sich ein Mensch subjektiv erschöpft fühlt. Des Weiteren hat die Veränderung der neuronalen Aktivität Auswirkungen auf die kortikalen Zentren, die für Vigilanz (andauernde Aufmerksamkeit) und Alertness (basale Aufmerksamkeit) verantwortlich sind. Diese durch Fatigue bedingte Abnahme der Aufmerksamkeit kann zusätzlich durch fokale Atrophie (Gewebeschwund in bestimmten Regionen) verstärkt werden, die für die Funktionstüchtigkeit des Vigilanz-/Alertness- Netzwerkes verantwortlich ist. In der neuropsychologischen Testung finden sich in der Folge Leistungsschwächen in Aufgaben zu Vigilanz und Alertness (siehe Abb. Hanken et al. 2014).
Abb. 2 Adaptiert nach Hanken et al. 2014
Weitere Unterstützung für die These, dass die Entzündung einen massgeblichen Anteil an Fatigue hat, stammt aus einer jüngst publizierten Arbeit von Hanken und Kollegen.11 In dieser Studie konnte gezeigt werden, dass Fatigue im Zeitpunkt des Schubes deutlich in der Symptomschwere ansteigt. Damit steht sie eindeutig mit dem entzündlichen Geschehen in Zusammenhang. Auch Patienten mit anderen Erkrankungen, bei denen entzündliche Prozesse eine wesentliche Rolle spielen, leiden unter ausgeprägter Fatigue.
Was das Erscheinungsbild angeht, so herrscht auf Symptomebene derzeit zumindest Einigkeit darüber, dass Fatigue mindestens zwei wesentliche klinische Komponenten beinhaltet. Die eine betrifft vor allem die körperliche (motorische), die andere die geistige (kognitive) Ebene.6,12 Oftmals treten jedoch Beeinträchtigungen in beiden Systemen auf. Eine zuverlässige Erfassung der beiden Komponenten ist daher von entscheidender Bedeutung. Denn es geht darum, für den einzelnen Patienten ein persönliches Fatigueprofil zu erstellen und eine adäquate Behandlung anzubieten. Weiterhin ist Fatigue mit verschiedensten psychosozialen Aspekten verbunden, die bei einer zuverlässigen Erfassung unbedingt mitbeachtet werden sollten.
Eine interessante Frage ist, inwieweit das Fortschreiten der Erkrankung mit dem Auftreten und dem Schweregrad der Fatigue zusammenhängt. Hierzu gibt es in der Literatur sich widersprechende Ergebnisse. In einigen Studien wurden starke, in anderen keine oder nur moderate Zusammenhänge gefunden.13,14 Vor dem Hintergrund, dass Fatigue bereits sehr früh im Krankheitsgeschehen auftreten kann, ist zu schliessen, dass der Schweregrad der Erkrankung für das Auftreten nicht wesentlich sein kann. Dies wurde sehr überzeugend in der bereits erwähnten Studie von Kobelt und Kollegen dargestellt.9 Hier zeigten Patienten mit EDSS 0 bis 3 ausgeprägte Fatigue-Symptome, die sich mit einem weiteren Anstieg des Behinderungsgrades zwar verstärkten, aber mit deutlich weniger Ausmass als dies zu Beginn der Fall war. Man kann allerdings davon ausgehen, dass mit fortschreitendem Krankheitsverlauf und Behinderungsgrad andere Krankheitsfaktoren hinzukommen, die ihrerseits wieder Einfluss auf das Ausmass der Fatigue nehmen können. Es kann festgehalten werden, dass Fatigue bei allen Verlaufsformen beobachtet wird, dass aber Patienten mit progredientem Verlauf jene sind, die häufiger Fatigue-Symptome beklagen.13
Die Ergebnisse zahlreicher bildgebender Studien legen den Schluss nahe, dass Fatigue eng mit Veränderungen im zentralen Nervensystem (ZNS) gekoppelt ist. So konnte beispielsweise Folgendes gezeigt werden: Die Minderung des Gesamthirnvolumens (Atrophie), der Gewebsverlust in spezifischen Regionen (fokale Atrophie) wie beispielsweise dem Balken (Corpus Callosum) sowie das vermehrte Vorhandensein von Läsionen in sogenannten wichtigen Schaltstellen der frontalen und parietotemporalen weissen Substanz werden mit Fatigue in Zusammenhang gebracht.15-20
Um mit Sicherheit feststellen zu können, ob ein Patient/eine Patientin eine primäre Fatigue hat, sollte im Rahmen der Abklärung ein besonderes Augenmerk auf die im Folgenden genannten dargestellten Symptome/Aspekte gelegt werden.
Nur wenig Wissen existiert zu Schlafstörungen bei MS, die jedoch mit einer Prävalenz von 25 bis 54 Prozent in Erscheinung treten können.21 Allgemeine Schlaflosigkeit (Insomnia) nimmt dabei eine Prävalenz von bis zu 40 Prozent ein, während diese in der Allgemeinbevölkerung bei 10 bis 15 Prozent liegt. Ein zu frühzeitiges Erwachen stellt mit einer Prävalenz von 58 Prozent das häufigste Symptom bei MSPatienten dar. Hinzu kommen nächtliche Bewegungsstörungen, die zwei- bis fünfmal häufiger beobachtet werden als in der Allgemeinbevölkerung. Ein besonderes Augenmerk sollte zudem auf potenzielle Atemerkrankungen während des Schlafes gelegt werden, da das Risiko für eine obstruktive Schlafapnoe auf 42 Prozent geschätzt wird.22 Es ist demzufolge ratsam, bei Patienten, die eine ausgeprägte Fatigue beklagen, auch die Schlafqualität genauer zu beleuchten und die Betroffenen in einem Schlaflabor abklären zu lassen. Stellt sich heraus, dass objektivierbare Schlafstörungen vorliegen, können diese gezielt therapeutisch angegangen werden. In solchen Fällen verbessern sich häufig die vormals erlebten Erschöpfungszustände durch eine adäquate Behandlung der Schlafstörung.
Die Angaben zur Auftretenshäufigkeit kognitiver Störungen schwanken erheblich – zwischen 21 und 65 Prozent23,24 –, was auf unterschiedliche Grenzwerte und Testverfahren zurückzuführen ist. Im Mittel gehen wir von einer Betroffenenrate von 40 bis 50 Prozent aus. Damit sind die kognitiven Beeinträchtigungen bei MS zwar weniger häufig als bei Fatigue, aber in der Stärke des negativen Einflusses auf die Lebensqualität durchaus vergleichbar.9 Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Patientin/ein Patient sowohl von Fatigue als auch von kognitiven Störungen betroffen ist, ist entsprechend hoch. Die Frage nach einem kausalen Zusammenhang kann jedoch anhand der bisherigen Datenlage nicht beantwortet werden. Existierende Korrelationsstudien zeigen aber dennoch einen eher schwachen Zusammenhang zwischen kognitiver Leistungsfähigkeit und Fatigue. Am ehesten scheint es wohl eine Assoziation zur kognitiven Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit zu geben.25 Patienten mit ausgeprägter Fatigue zeigen folglich eine kognitive Verlangsamung, die mit sensitiven Testverfahren objektiviert werden kann.
Die relative Unabhängigkeit zwischen kognitiver Leistungsfähigkeit und Fatigue wird durch pharmakologische Studien insofern gestützt, dass unter der Gabe von Amantadin und Pemolin zur Behandlung der Fatigue keine nennenswerten Effekte auf die Kognition gefunden werden konnten.26 Und genauso umgekehrt: Unter der Behandlung mit Donepezil verbesserte sich zwar die Gedächtnisleistung, nicht aber die Fatigue-Symptomatik.27
Während die Prävalenz beispielweise in der deutschen Allgemeinbevölkerung auf 8.1 Prozent geschätzt wird,28 liegt die Lebenszeitprävalenz, im Rahmen einer MS eine Depression zu entwickeln, zwischen 37 und 54 Prozent.29–32 Bei einer Prävalenzrate von mehr als 75 Prozent für Fatigue ist die Wahrscheinlichkeit einer Koinzidenz sehr hoch. Entsprechend häufig beklagen MS-Patienten mit Fatigue-Symptomen auch Auffälligkeiten im emotional-affektiven Bereich. Da es keine nachgewiesene genetische Disposition für eine Depression bei MS gibt, ist es naheliegend, dass Fatigue und Depression auf gemeinsamen neurobiologischen und hirnstrukturellen Mechanismen beruhen.33,34
Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, sind die Ursachen der Fatigue bislang unklar. Fraglich ist auch, ob es sich bei Fatigue um eine reine Erschöpfung/Müdigkeit handelt oder ob etwa Faktoren, die für das menschliche Verhalten und Handeln relevant sind, eine wesentliche Rolle bei der Aufrechterhaltung der Symptome spielen. Die Motivation eines Menschen könnte ein solcher Faktor sein. In einer Studie zu Depression, Persönlichkeitseigenschaften und Motivation stellte sich heraus, dass bei MS-Patienten die Fatigue am stärksten durch Depression vorhergesagt werden konnte, zu einem geringen Anteil durch motivationale Faktoren und gar nicht durch Persönlichkeitseigenschaften.35 Wurde jedoch für den Faktor Depression kontrolliert, stellte sich das motivationale Moment «Sprunghaftigkeit» als einziges Zusammenhangsmass für Fatigue heraus. Somit scheint Fatigue nicht losgelöst von motivationalen Gegebenheiten zu sein. Auch scheinen sich Persönlichkeitseigenschaften mit Fatigue-Symptomen in Verbindung bringen zu lassen. Eine Abnahme an Extraversion hin zu einer Introvertiertheit sowie ein stärker ausgeprägter Neurotizismus haben sich hier als die ausschlaggebenden Kriterien herauskristallisiert.11,35
Bei den soziodemographischen Variablen wurden das Alter und das Geschlecht als mögliche Einflussgrössen der Fatigue diskutiert. Hierbei wurde vor allem das Alter als möglicher Risikofaktor in Betracht gezogen.36 Andere Studien konnten allerdings keinen statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen Alter und Fatigue feststellen.14,37 Auch das Geschlecht scheint vor dem Hintergrund einer krankheitsspezifischen Geschlechterverteilung von 3:1 (weiblich:männlich) keinen nennenswerten Einfluss auf die Fatigue-Symptomatik auszuüben.36,38 Interessanterweise scheint es eine Relation zwischen Bildungsgrad und Fatigue zu geben. Lerdal et al.38 fanden bei schubförmigen und sekundär progredienten MS-Patienten einen signifikanten Zusammenhang. Patienten mit höherem Bildungsstand zeigten eindeutig weniger Fatigue-Symptomatik. Dies führen die Autoren darauf zurück, dass Menschen mit höherem Bildungsgrad eher in der Lage sind, adäquate Coping-Strategien zu entwickeln und erfolgreich anzuwenden. Sie leben in einem flexibleren Umweltgefüge und können sich dadurch den besonderen Gegebenheiten, die Fatigue mit sich bringt, besser anpassen.
Abbildung 3 Wesentliche Einflussgrössen auf Fatigue
Wir sehen uns in der Klinik mit einem Symptom konfrontiert, das das psychosoziale Gleichgewicht der Betroffenen zu beschädigen droht. Es ist daher von grösster Bedeutung, zumindest diagnostisch für den Patienten und sein Umfeld Klarheit zu schaffen, indem festgestellt werden kann: Liegt eine Fatigue vor? Wie stark ist ihre Ausprägung? Und welchen Bereich, kognitiv oder motorisch, betrifft sie? Ein Dilemma besteht bei der systematischen Erfassung darin, dass objektive Messmethoden bislang immer noch fehlen. Die subjektiv wahrgenommene Fatigue wird hingegen derzeit nur mit Fragebögen, die ihrerseits wieder ein subjektives Erfassungsinstrument darstellen, erhoben. Eine Vielzahl von Fragebögen steht hierzu zur Verfügung, wobei die methodische Güte der einzelnen Instrumente stark variiert. Skalen, die der Mehrdimensionalität gerecht werden (z. B. FSMC,39 MFIS,12 WEIMUS40), sind in jedem Falle zu bevorzugen, da man ansonsten Gefahr läuft, nur eine Spitze des Eisberges oder im schlechtesten Falle keine zu erkennen.
Anhand der Quantifizierung lässt sich das weitere Vorgehen, z. B. der Umgang im Alltag oder eine pharmakologische Therapie, bestimmen.
Welche Symptome können auftreten?
Die Fatigue äussert sich in der Regel durch:
Zusätzliche typische Symptome, die für eine Fatigue sprechen können:
Die Fatigue äussert sich in der Regel durch:
MS-bedingte Symptome, die ihrerseits zu einer vermehrten Müdigkeit führen können:
Es gibt Medikamente, mit denen man versuchen kann, die Fatigue Symptome zu behandeln. Diese sind aber allesamt nicht offiziell für die Behandlung der Fatigue zugelassen, so dass die Kosten von den Betroffenen selbst getragen werden müssen. Nicht jede Patientin/jeder Patient spricht jedoch auf diese Medikamente an, so dass hier im Einzelfall gemeinsam mit dem behandelnden Arzt entschieden werden muss, ob ein solches Präparat zur Anwendung kommen soll. Vielleicht müssen auch mehrere Präparate durchprobiert werden, um herauszufinden, ob eine Substanz beim einzelnen Patienten wirksam ist. Ein antriebssteigerndes Antidepressivum wäre in jedem Falle die erste Wahl einer medikamentösen Behandlung, denn es konnte gezeigt werden, dass eine grosse Zahl von Patienten auf ein Antidepressivum auch im Hinblick auf die Fatigue-Symptomatik positiv anspricht. Hier gilt es, seitens der Patienten ihre Vorbehalte gegenüber Psychopharmaka abzubauen und zumindest einmal den Versuch einer Einnahme zu wagen.
Es gibt neben den medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten sehr viele Dinge, die Betroffene selber tun können, um die Symptome zu lindern und sie im Alltag erträglicher werden zu lassen.
Um mit der Fatigue dauerhaft besser umgehen zu lernen, ist es hilfreich, einen Zugang zur MS Erkrankung generell zu finden. Der erste Schritt ist, sie erst einmal zu akzeptieren, anstatt zu hadern und gegen sie anzukämpfen. Das offene Gespräch mit Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen hilft diesen, zu verstehen, welche Belastungen mit der MS verbunden sind und warum Betroffene öfter eine Pause benötigen. Nur wenn das Umfeld über die Fatigue und die Auswirkungen informiert ist, kann es die Betroffenen unterstützen und verständnisvoll mit den Veränderungen und der geringeren Belastbarkeit umgehen. Auf diese Weise wird überhöhten Ansprüchen und Vorwürfen vorgebeugt und die emotionale Last bei den Patienten verringert.
Es ist ebenso wichtig, dass Betroffene im Umgang mit sich selbst verständnisvoll und nachsichtig sind und sie keine zu hohen Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit und Ausdauer stellen. Eine therapeutische Möglichkeit für mehr Achtsamkeit im eigenen Leben stellt MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction) dar. In einer Studie zur Überprüfung der Wirksamkeit von MBSR auf Fatigue, Depression und Lebensqualität, an der 150 MS-Patienten teilnahmen, zeigten sich beeindruckende Effekte auf diese Faktoren. Somit lässt sich Fatigue sehr gut durch meditative Achtsamkeitsübungen lindern – eine therapeutische Option, die wenig kostet und maximal effektiv ist. Betroffene sollten sich pro Tag zudem realistische Ziele setzen, die sie auch erreichen können. Sie sollten darüber hinaus dringend vermeiden, sich mit einer übervollen Agenda zu konfrontieren, deren Erfüllung sie realistischerweise nicht nachkommen können. Wichtig ist vielmehr ein Umdenken dahingehend, dass man trotz der Fatigue noch ganz viele Dinge machen kann und man sich nicht als passives Opfer der Fatigue betrachtet.
Diese Therapien können dabei helfen, den Umgang mit den Beschwerden zu verbessern. Die Therapie bezieht sich u.a. auf konkrete Probleme im Umgang mit der Fatigue. Im Rahmen der Sitzungen werden gemeinsam mit einem Therapeuten Copingstrategien erarbeitet, die im Alltag angewendet werden können. In der Folge kann dadurch die Selbstwirksamkeit wieder gestärkt werden.
Moderates Ausdauertraining kann in vielen Fällen die Leistungsfähigkeit verbessern und die Fatigue effektiv mindern. Blosse Inaktivität verschlimmert die Symptome langfristig, weswegen man sich trotz der Fatigue auch körperlich fordern, jedoch nicht überfordern sollte. Patienten dürfen durchaus auch bei sportlicher Betätigung schwitzen und sich an ihre individuelle Leistungsgrenze bringen.
Folgende Massnahmen fördern einen ausreichenden, regelmässigen und qualitativ guten Schlaf:
Für Patienten, die unter einer hitzebedingten Fatigue (UhthoffPhänomen) leiden, haben sich kühlende Massnahmen wie kühle Bäder, Klimaanlagen, Kühlwesten, Kühlunterwäsche, Kühltücher und Erfrischungssprays als wirksam erwiesen, um die Körpertemperatur zu senken und dadurch die Auswirkungen der Fatigue zu lindern. Patienten mit Kühlkleidung können dadurch wieder an abendlichen sozialen Aktivitäten teilnehmen und erfahren hierbei eine Vergrösserung ihrer Teilhabe und damit ihrer Lebensqualität.
Forschungsbemühungen zielen weiter darauf ab, die Ursachen zu ergründen. Dabei ist anzunehmen, dass es nicht eine einzelne Ursache, sondern eher ein multifaktorielles Ursachengefüge ist, das letztlich zur klinischen Präsentation der Fatigue führt. Klinisch ist derzeit allerdings der Umgang mit der Fatigue seitens der Ärzteschaft und seitens der betroffenen Patienten von Relevanz. Ärzte sollten wissen, dass Fatigue unabhängig vom Behinderungsgrad zu allen Zeitpunkten der Erkrankung auftreten kann und sich massgeblich negativ auf die Lebensqualität und die Arbeitsfähigkeit auswirkt.
Patienten sollten daher ernst genommen werden, wenn sie glaubhaft Situationen beschreiben können, in denen Erschöpfung sie an der Realisierung geplanter Aktionen hindert. Des Weiteren sollte bei jedem Patienten, der eine Fatigue beklagt, eine Untersuchung im Schlaflabor durchgeführt werden, um etwaige zugrundeliegende Schlafstörungen zu objektivieren. Seitens der Patienten ist wichtig, dass man die Fatigue als Symptom der MS akzeptiert. Nur wenn es gelingt, sie zu akzeptieren, können Bewältigungsprozesse freigesetzt werden, die letztlich zu angemessenen Strategien führen. Gelingt dies eher schlecht, gehen letztlich viel zu viele wertvolle Ressourcen für den Kampf gegen die Fatigue verloren, die dringend für die Entwicklung von Copingstrategien benötigt werden.
Regelmässige in den Alltag integrierte Ruhepausen sollten eingehalten werden. Des Weiteren haben sich meditative Ansätze, wie sie im Rahmen des MBSR zur Anwendung kommen, als hilfreich im Umgang mit der Fatigue erwiesen. Wichtig ist es, trotz der Fatigue den Zustand zu erreichen, dass man sich «Herr der Lage» und nicht als Opfer fühlt.